Auszug aus: Stebler F.G., „Die Vispertaler Sonnenberge", Jahrbuch der Schweiz, 56. Jahrgang, Schweizer Alpenclub, Bern, 1921          Inhaltsverzeichnis

Die Gemeinde Emd.

Der Weg nach Emd. - Das Dörfli. - Auf der Fluh. - Siedelungen. - Felsabstürze. - Volkscharakter. - Der Leimbotz im Pfarrhaus. - Weg nach Kalpetran und St. Niklaus.

Von Törbel führt der Weg in einer Stunde nach Emd. Er ist weniger abwechslungsreich als jener von Törbel nach Zeneggen. Wohl führt er am steilen Hange hoch über dem untern Nikolaital hin; aber es bieten sich keine neuen Aussichten, und das Weisshorn verschwindet allmählich grösstenteils hinter den Vorbergen. Der Saumweg ist zudem stellenweise recht unangenehm und führt wiederholt hinauf und wieder hinab. Gleich unter der Kirche von Törbel ist er durch das Wasser ausgewaschen; mit Mühe kann man dem Fusse auf den Steinen einen sichern Stand verschaffen. Es ist nämlich eine leidige Gewohnheit der Bergbewohner, dass sie den Weg häufig als Wässergraben benützen. Die Wege sehen deshalb, besonders in der Nähe der Dörfer, recht beinbrecherisch aus. Zu den schlechtesten aber gehört der Weg unterhalb Törbel, dann jener oberhalb Furren. Zwar ist es untersagt, das Wasser durch die Strassen und Wege zu leiten. Wenn es aber die Magistraten selbst tun, so glaubt der gewöhnliche Bürger auch das Recht zu haben.

Fig. 17. Der Berg Törbel.

Um nach Emd zu gelangen, nimmt man unter der Kirche von Törbel zunächst den Weg nach Im Feld, zweigt unter den Gärten rechts ab, geht zwischen dem fruchtbaren Wiesengelände der «Bodmen» hinab an dem «Gappeltschuggen», einem kleinen Bildstöcklein, vorbei in das Tobel des Törblerbaches. Von hier geht es eine Zeitlang ziemlich eben fort. Bei den «Lauiäckern» zweigt links der Fussweg über Walkersteh nach Kalpetran ab. Etwas oberhalb des Weges hat man einen prächtigen Rückblick über den ganzen «Berg» von Törbel (Fig. 17). Wir halten uns immer in gleicher Höhe. Nach kurzer Zeit folgt rechts ansteigend eine zweite Abzweigung nach der Schufla. Dann folgt nochmals links eine dritte in die Rohrachere. Wir gehen jedoch immer eben fort und beginnen erst unter der Häusergruppe der Schufla auf die Schufelhöhe etwas zu steigen, kommen dann auf schlechtem Weg hinab über den «Stotzend Brand» in den «Schreiend Bach», der die Gemeindegrenze zwischen Törbel und Emd bildet. Den Bach, oder vielmehr die Runse überschreitend, steigen wir steil hinauf zu den Häusern der untern Rohrmatten, durchqueren die Wiesen und erreichen nun den Weiler der Frumachern und kommen endlich bei einer alten Schmiede vorbei nach der Kirche von Emd.

Von der untern Rohrmatte zweigt bei einem Kreuz, über einem Stadel, ein Fussweg links nach der Kapelle und dem Weiler im «Dörfji» ab. Rechts an diesem Wege in einem Baumgarten, etwa 50 Schritte von der Kapelle entfernt, sind die Reste der Grundmauern eines 1211 erbauten Turmes, des Stammhauses des Geschlechtes der Roten von Raron.

Oben «auf der Fluh» guckt die Kirche von Emd hervor.

Die einzelnen Siedelungen der Gemeinde Emd (Die Einheimischen schreiben «Embd», also mit b. Offiziell und etymologisch richtig ist die Schreibweise Emd, ohne b, von dem althochdeutschen amat - dem zweiten Grasschnitt - abgeleitet) sind am Berghang nördlich des Emdbaches gelegen. Der Hang ist so steil, dass man von Emd sagt, man müsste den Hennen Fusseisen anlegen, damit sie nicht abfallen. Die Emder heissen deshalb scherzweise in der Nachbarschaft «Hennebschlaer». Auf einzelnen kleinen Bergterrassen liegen schöne, mehr oder weniger ebene, fruchtbare Wiesen und Äcker.

Furrer nennt Emd richtig «einen hangenden, aber grasreichen Berg». Vom Grund bis zum Grat ist der Berg stotzend. Der Hang ist direkt nach Süden geneigt und nach Norden geschützt. Das Klima ist deshalb mild. Das Obst gedeiht noch bei der Kirche. Der Nussbaum steigt bis ins Dörfji, und unterhalb dieses Weilers ist noch ein stattlicher Weinberg, wo das Gwäs und der Fendant, nur 4-5 km vom Riedgletscher entfernt, ihre Trauben reifen. Die Gemeinde besteht aus zahlreichen, über den ganzen Berg zerstreuten, meist kleinen Niederlassungen. Die grössten Siedelungen sind Auf der Fluh, Im Dörfji und Kalpetran. Auf der Fluh (1356 m) stehen die Kirche, das Schulhaus und sechs Häuser. Etwas tiefer, auf einer schönen Wiesenterrasse auf jähem Felsen, liegt das Dörfji (1260 m) mit 8 Wohnhäusern. Unten im Tal befindet sich Kalpetran («Kalfatra»). Die übrigen Niederlassungen bestehen je nur aus 1-2 zerstreuten Häusern. Es sind: die untere und die obere und die äussere Rohrmatten, Hubel, Frumachern, Egga, Im Erbji, äusserer und innerer Ebnet, Schild, Rafgarten (3 Häuser), Restelbiel, Hasel, Haselstadel.

Unterhalb des Dörfji gähnt ein mehr als 200 m hoher, fast senkrechter Felsabsturz und droht mitsamt den Häusern abzustürzen. Der Weiler sei übrigens früher doppelt so gross gewesen und nach und nach zur Hälfte mit den Felsen abgefallen, unter sich ein Dorf (Brunegg) begrabend. Unter der Wiese zwischen dem Dörfji und der Kapelle klafft eine tiefe Spalte in dem Felsen. Ausserhalb der Felsenspalte liegt auf dem Fels ein Garten, in welchen man nur durch einen kühnen Sprung über die Spalte gelangen kann. Zu äusserst am östlichen Felsenrande des Dörfji steht, gleichsam in der Luft schwebend, ein Speicher, und gerade daneben beginn der fürchterliche Abgrund.

Auch die Häuser auf der Fluh stehen auf einer solchen Bergterrasse. Vor einigen Jahren löste sich weit oben in der Voralp am Schalp ein Felsen und drohte die tiefer liegenden Häuser und die Bahnlinie nach Zermatt zu verschütten. Die Bahnverwaltung machte deshalb noch rechtzeitig kostspielige Verbauungen. Jetzt ist der Fels wieder ruhig.

Die Leute, die auf diesem Berge wohnen, sind kühn, ja waghalsig und kennen keinen Schwindel. Unglücksfälle kommen häufig vor. Das unruhige Wesen von Berg und Volk soll auch der Grund sein, weshalb kein Pfarrer längere Zeit in Emd bleibt. Übrigens soll in der obern Pfarrstube ein böser Geist, der Leimbotze, sein Wesen treiben. Der jetzige Pfarrer von Zeneggen, der sieben Jahre in Emd pastorierte, erzählt folgendes:

Der Leimbotz.

«Ich war an einem Winterabend ganz allein im Pfarrhause. Meine Haushälterin war in Visp. Es war Mitternacht und ich verrichtete noch das übliche Gebet, als es krachte und unter dem Tisch ein Geräusch entstand, als ob man mit einer Rute hingeschlagen hätte. Erschrocken schaute ich mich im Zimmer um, bemerkte aber nichts Auffallendes und setzte das Gebet fort. Nach einiger Zeit krachte es nochmals, ich hob die Tischdecke auf, sah aber nichts. Die Uhr schlug gerade Mitternacht. Überzeugt, dass ein Botz sein Wesen im Hause treibe, ging ich, am ganzen Körper zitternd, zum Nachbar, der glücklicherweise die Türe nicht geschlossen hatte, weckte und bat ihn, er möchte mit mir ins Pfarrhaus kommen. Ich legte mich im Bett an die Wand und der Nachbar neben mich auf die vordere Seite. So schliefen wir beide, bis sich am Morgen um fünf Uhr das Geräusch wiederholte. Der Nachbar rief den Botzen an: Was willst du hier, wenn dir etwas zur Erlösung fehlt, so sage es, wir wollen dir helfen. Der Botz gab keine Antwort. Anderntags ging ich nach Visp und holte die Haushälterin heim. Ich erzählte ihr den Vorfall. Als diese zu Hause war, untersuchte sie den Tisch und konstatierte, dass sich an demselben die Leimung zwischen Tischplatte und dem unterliegenden Rahmen losgelöst und so das Geräusch verursacht hatte.» - Der Pfarrherr war damit ein für allemal von der Botzenfurcht geheilt.

* * *

Ein ordentlicher Weg führt an der Kapelle beim Dörfji vorbei in 3/4 Stunden nach Kalpetran und weiter nach Stalden.

Für Schwindelfreie geht ein schmaler Fussweg vom Dörfji südwestlich durch die Lochflühe am linken Ufer der Vispach in einer guten Stunde nach St. Niklaus. Bei der Sellibrücke mündet er in den Talweg.


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