Auszug aus: Stebler F.G., „Die Vispertaler Sonnenberge", Jahrbuch der Schweiz, 56. Jahrgang, Schweizer Alpenclub, Bern, 1921          Inhaltsverzeichnis

 

Die Bewässerung  (2): Die Augstbordwasserleitung.

Geschichte. - Die Wässerordnung. - Der Wasserhüter.

Von all diesen Leitungen ist die Augstbordwasserleitung oder das «Augstbordwasser», die «Augstborderin» oder die «Niwe» die bedeutendste. Anfänglich hat sie ein Profil von 80 x 80 cm, in der Diebjen noch 40 x 50 cm. Sie wird in der Augstbordalp vom Emdbach gespiesen, der in dem vom Dreizehnenhorn, Schwarzhorn und Steintalgrat umrahmten Felsenkar seinen Ursprung nimmt und die Augstbordalp durchfliesst, wo die Leitung in einer Meereshöhe von etwa 2050 m ihren Anfang nimmt, über die Emderalpen nach Törbel geleitet und zunächst zur Bewässerung der Voralpen benützt wird. Dann führt sie quer durch den Wald nach Zeneggen über die Diebjen und herab gegen den Kastlertschuggen und wird schliesslich auf die tiefer gelegenen Wiesen und Äcker von Zeneggen geleitet.

Die Leitung bestand schon im 14. Jahrhundert und trat an die Stelle der «alten Suon», die ihr Wasser aus dem Jungtal brachte und die Gefilde von Törbel, Birchen, Albenried und Zeneggen bewässerte, ja sogar bis in die Schlüsseläcker bei Visp geführt wurde. Sie soll seinerzeit von der Gräfin von Visp erbaut worden sein. Noch heute kann man das Trasse der alten Suon auf weite Strecken verfolgen; aber die Wasser haben aufgehört zu fliessen. Nur im Augstbord benützt die «Niwe» eine Strecke das Bett der alten Suon; am «hohen Fall» beginnt die neue Leitung. Vom «kalten Brunnen» in der Alp Moos bis in die Hohfluh dient die alte Suon heute als Weg. Wann und warum die alte Suon aufgegeben und an deren Stelle die Neue («Niwe») gebaut wurde, ist nicht bekannt.

Schon 1343 kaufte Zeneggen für 20 Mörsinger Schilling für einmal und drei Mütt (Modio) Korn jährlich an St. Michael von Törbel und Burgen nach einem Akt von Johannes Theutonicus, Notar in Visp, unwiderruflich und auf ewige Zeiten drei Tage Wasser mit den zugehörigen Nächten ohne Unterbruch aus der neuen Wasserleitung, die geschöpft wird an der «Mezwenge»,wo es heisst zur «Twerenfluh».

1400 wird in einem Vertrage zwischen Emd und den Geteilen der Augstbordwasserleitung von den Parteien erklärt, dass letztere schon seit alters her das Wasser zur Bewässerung am Emdbach geschöpft habe.

1530 kaufen die Geteilen der Augstbordwasserleitung für 35 Mörsinger Pfund von den Bauern am Grossberg, Gemeinde St. Niklaus, alles und jedes Wasser, das sie an der Twerenfluh schöpfen können. 1639 werden in einem Gerichtsurteil die alten Rechte des Augstbordwassers bestätigt.

Im Laufe der Jahrhunderte verfiel die Niwe an einzelnen Stellen mehr und mehr. Namentlich durch das Erdbeben im Jahre 1855 wurde sie defekt, so dass sich 1901 Törbel und Zeneggen entschlossen, die Leitung einer gründlichen Reparatur zu unterwerfen, nachdem die Gemeinden schon im Jahre 1893 nach der grossen Dürre gemeinsam das Gesuch um Bundesunterstützung eingereicht hatten. In Zeneggen wurde teilweise ein neues Trasse gewählt und eine neue Leitung erstellt. Die Leitung wurde vom Guggigraben direkt hinunter in die Diebjen geführt, während sie bisher bis in die Eischmatten und die Hellelen ging. Die Kosten des Baues betrugen Fr. 27,000, woran der Bund 15,000-16,000 Franken beisteuerte; der Rest wurde durch die Geteilen bezahlt.

Die Augstbordwasserleitung ist Eigentum einer Geteilschaft von Grundbesitzern in Törbel und Zeneggen. Das Wasserrecht ist in «Viertel» eingeteilt. Ein Viertel ist die Berechtigung auf das gesamte Wasser während sechs Stunden. Der Tag hat also vier Viertel. Das erste Viertel dauert von Mitternacht bis 6 Uhr früh, das zweite von 6 Uhr bis Mittag, das dritte von Mittag bis 6. Uhr abends und das vierte von 6 Uhr abends bis Mitternacht. 21 Tage oder 84 Viertel bilden einen «Kehr». Wenn diese Zeit um ist, fängt ein neuer Kehr an, bei welchem jeder Geteile wieder an die Reihe kommt. Der erste Kehr beginnt im Vorsommer, wenn das Wasser zü fliessen anfängt. Von den 84 Vierteln besass Törbel vor der Reparatur 190136 Viertel, die auf die verschiedenen, an der Leitung gelegenen Fluren, an der Egger Grenze angefangen, nach folgender Rangordnung auf den Grundbesitz verteilt sind:

1. Viertel Hofstetten 14.-15. Viertel Wychen
2. Viertel Gerlinen 16. Viertel Wychen u. Springen
3. Viertel Gstein 17.-20. Viertel Springen
4. Viertel Ähnder Häusern 21. Viertel Moosfluh
5. Viertel Wassen 22. Viertel Wasmen
6. Viertel Lehmannigen 23. Viertel Niwen
7.-9. Viertel Bärmatten 24. Viertel Schwendi
10. Viertel Niwer Boden 25.-26. Viertel Holz
11. Viertel Alter Boden 27. Viertel Hohbalmen
12. Viertel Boden und Gruben 28.-32. Viertel Batt
13. Viertel Galtacker 33.-36. Viertel Riedfluh

In Zeneggen fängt der Kehr abwechselnd im Sisetsch und in Zenstadlen an. Vor dem Umbau kaufte Törbel von den Egger Vierteln noch 11 Stunden zu für die Riedfluh, 4 1/2 Stunden für das Ebnet und 6 Stunden für Zen Springen, zusammen 21 1/2 Stunden.

Die Wasserrechte von Zeneggen sind nach Stunden auf Tesslen (Fig. 63) geschnitten. Auch in Törbel sind die einzelnen Viertel in der Regel unter mehrere Berechtigte in der betreffenden Flur stundenweise verteilt. Es gibt Geteilen, die an einem Viertel nur 1/2 Stunde Wasserrecht haben.

Die Wasserleitung wird im Frühjahr so früh als möglich geöffnet. Um den auf der Leitung liegenden Schnee rasch zum Schmelzen zu bringen, wird dieser mit Erde überstreut. Oft liegt aber noch im Mai im Augstbord hoher Lawinenschnee, dann kann dem Wasser selten vor Mitte Mai freie Bahn geschaffen werden. 1921 wurde das Augstbordwasser am 17. Mai geholt, 1920 erst im Juli; da Törbel Überfluss an Wasser hatte, leitete man einfach ob der Schwendi einen Teil des Tellibaches (Fig. 64) in die Niwe und benutzte das Wasser vom Augstbord erst von Ende Juli an bis Mitte August. Wenn wenig Schnee in den Bergen liegt, so liefert jedoch der Tellibach zu wenig Wasser; dann muss die Augstborderin früher geöffnet werden. Man wartet mit diesem «Anwerchen» gewöhnlich bis zum «grünenden» (aufgehenden) Mond, weil die abgeschnittenen Rasen dann viel besser anwachsen und die Rasenböschungen dichter werden. Das Anwerchen geschieht gemeinsam. Von Zeneggen bis zum Törblerbach haben die Geteilen von Zeneggen den Unterhalt zu besorgen, von hier bis zum «Kännel» im Schalp jene von Törbel und von da bis ins Augstbord wieder die Egger.

Fig. 64. Die Augstbordwasserleitung überquert

den Törbierbach In der Schwendi.

Abwechselnd fungiert je ein Geteile von Törbel und Zeneggen als «Teiler» oder Wasservogt. In Zeneggen muss jeder Geteile nach der Rangordnung der Wässertesslen an der Schnur auf sechs Wässerstunden je ein Jahr das Amt des Teilers übernehmen. Der Teiler hat die ziemlich unangenehme Kontrolle über die Ausübung der Wasserrechte und die sonstige Verwaltung. Wie schwierig das Amt eines «Niwenteilers» ist, beweist der Notschrei des letztj ährigen Teilers von Törbel, der verzweifelnd ausrief, er möchte lieber schweizerischer Bundespräsident sein als «Niwenteiler» von Törbel, was doch viel sagen will.

Fig. 63. Eine Wässertessle der Augstbordwasserleitung.

 

Früher hatte die Augstbordwasserleitung ziemlich bedeutende Guthaben. 1844 betrugen dieselben an «Geld, Geldgilt und Korngilt»:

in Törbel in Zeneggen
Kapital (Pfund) 472 245
Geldgilt (Batzen) 36 110
Korngilt* (Fischi und Näpfe) 5.1 28.2

*) Diese Korngilt ist noch ein Rest der im Jahre 1343 stipulierten Abgabe.

 

Wie die Wasserrechte, so waren auch die Geld-, Korn- und Weinguthaben der Augstborderin bei den Bürgern auf Tesslen geschnitten. Der Verfasser besitzt u. a. folgende Tesslen von der Gemeinde Zeneggen: 1. Wässerrechtstesslen, Bund von 40 Stück; 2. Pfundtesslen, Bund von 37 Stück; 3. Korngilttesslen, Bund von 31 Stück; 4. Batillentesslen, Bund von 82 Stück. Ausser diesen: 5. Sonntagtesslen, Bund von 52 Stück. Die Wässertesslen sind in Zeneggen gegenwärtig noch in Gebrauch. Ferner von Törbel: 6. Gemeindewerktesslen, Bund von 49 Stück; 7. Schottentesslen, drei Bunde je zusammen 67 Stück.

Der Ertrag des Vermögens wurde zum Unterhalt der Leitung (Lohn des Hüters) und zur Verpflegung der Geteilen beim «Anwerch» benutzt.

Das «Niwenbuch» von Törbel von 1844 bestimmt darüber unter anderm:

  1. Soll der Niwenteiler beim Anwerchen alle Jahr die dazu bestimmte Brennte, welche 22 Mass enthaltet, am Morgen um die bestimmte Stunde auf der Bad, Wyerbiel genannt, lassen einfinden mit gutem Wein, doch ist es ihm frei gestellt guten Gwäs.
  2. Am Abend sollen 35 Massen gebracht werden, aber untren guten Landwein, Musgitel oder Resi, wovon ein Mass zum Voraus dem Hüter soll gegeben werden usf.
  3. An der Rechnung oder am Teilermahl von Törbel soll der Preis des Weins gemacht werden.

Durch den Umbau 1901 ist das Vermögen grösstenteils aufgezehrt worden, und seither haben sich die Geteilen beim Gemeindewerk selbst zu verpflegen.

Die Egger und die Törbler haben für die Zeit, während sie das Wasser benützen, einen besondern Hüter, der täglich der Leitung nachgeht, allfällige Hindernisse beseitigt und kleinere Schäden ausbessert. Mit Tränen in den Augen erzählte mir derselbe am 23. Mai 1921, dass ihm die Emder bei der «Schnitten» unweit der Aschepfi eine Menge Steine in die Wasserleitung geworfen und so das Wasser nach Emd hinabgenommen hätten. Er hätte zwei Stunden gearbeitet, um dem Wasser wieder den rechtmässigen Lauf zu verschaffen. Es herrscht übrigens eine ewige Klage von Törbel und Zeneggen, dass ihnen Emd ihr Wertvollstes, das Wasser, nehme. Der Staat hat hier die Pflicht, ordnend einzugreifen und den Bürgern ihr Eigentum zu schützen.

Welchen hohen Wert das Augstbordwasser hat, geht aus dem Preise hervor, den man heute für ein Anrecht bezahlt. Vor der Reparatur im Jahre 1901, als die Leitung wenig Wasser mehr nach Zeneggen brachte und deshalb der Wert tief gesunken war, kauften einzelne Törbler von Zenegger Bürgern Eggerwasser, die Stunde zu 60-70 Franken. Heute würde man das Mehrfache bezahlen. Zeneggen hat dann aber den Wasserverkauf verboten, im Interesse der Bürger selbst, dann aber auch deshalb, weil der Unterhalt der Leitung schliesslich auf einige wenige gefallen wäre.

Das Wasserquantum, das die Niwe führt, ist in den einzelnen Monaten verschieden; am grössten ist es im Hochsommer, wenn der Schnee stark wegschmilzt; es wird geringer, sobald im Nachsommer kältere Nächte kommen. Bei der grossen Hitze im Sommer geht viel Wasser durch Verdunstung verloren, und schliesslich versiegt die Leitung oft ganz und gar.


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