Prähistorische Siedlung auf dem Kastelltschuggen
Obwohl hier bisher nur wenige Ausgrabungen durchgeführt wurden, zählt Zeneggen zu den wichtigsten Fundstätten in der Frühgeschichte des Wallis. Bis zu den Funden von Crettaz-Polet in Sembrancher war Zeneggen der einzige Fundort mit Siedlungsspuren aus der mittleren Bronzezeit. Vor allem die hier gefundenen Keramiken vermitteln in ihrer Gesamtheit äusserst wertvolle Angaben zur Kultur jener Epoche.
Lage
Die mit Chastel - Kastel - Kasteltschuggen bezeichnete kleine Felskuppe erhebt sich westlich von Zeneggen bis auf eine Höhe von rund 1600 m ü. M. Die bewaldete, von Westen her ansteigende Felsrippe ist im Süden und Osten durch Felsabstürze begrenzt.
Die Erforschung
Die sichtbaren Reste eines kleinen Trockenmauerwerks zuoberst auf der Kuppe und eines in geringem Abstand davon umlaufenden Steinwalls gaben vermutlich der Bevölkerung den Anlass zur Bezeichnung «Kastel» und zur Interpretation der Anlage als Rest eines «römischen» Wachtturms.
Im Sommer 1955 entdeckte eine Basler Schulklasse beim Graben im Innern des «Turmes» eine Anzahl Scherben, die sich hinterher als Bruchstücke von bronzezeitlichen Gefässen erwiesen. Diese Entdeckung veranlasste Johannes Senti (Muri BE), der bis zu seinem Tod regelmässig während vieler Monate des Jahres in Zeneggen wohnte, seine volle Aufmerksamkeit dieser Fundstelle zu widmen. Er räumte in den folgenden Jahren das fundreiche «Turminnere» aus und sondierte im Bereich des mutmasslichen Siedlungsareals mittels flächiger Freilegungen und mittels vieler schmaler Sondiergräbchen bis auf den gewachsenen Fels. Sorgfältig sammelte er alle Funde, die in der dünnen Humusschicht über dem Fels zum Vorschein kamen.
Die Entdeckung der Basler Schulklasse und die Grabungsfunde von J. Senti veranlassten Kantonsarchäologe F. 0. Dubuis, die Fundstelle selbst zu beurteilen, wobei er insbesondere den Steinwall untersuchte und dessen talseitige Front auf einer Länge von ca. 25 Metern freilegte.
Eine Besichtigung der Fundstelle und der Funde durch den Unterzeichneten liess es als wünschenswert erscheinen, systematische Ausgrabungen vorzusehen. In den Jahren 1960 und 1963 erfolgten so im Auftrag und mit Unterstützung des Walliser Kantonsarchäologen zwei Grabungen. Die durch J. Senti durchgrabene zentrale Siedlungsfläche wurde dabei nicht tangiert, sondern in dem Zustand belassen, wie sie J. Senti zurückgelassen hat.
Stratigraphie
Der Felskopf Kastel trägt nur eine dünne Humusschicht, in welcher die Spuren einer bronzezeitlichen Höhensiedlung nachweisbar sind. Das Kulturgut dieser ersten Siedlung fand sich in der dünnen Erdschicht und insbesondere in den Taschen und Ritzen des zerklüfteten Felsens. Weiterführende stratigraphische Untersuchungen waren leider nicht möglich. Dies ist insofern nicht so gravierend, als das Fundmaterial - vermutlich aus ein und derselben Besiedlungsphase stammend - sehr einheitlich ist.
Ergebnisse
Das zutage geförderte Fundgut aller Sondierungen und Grabungen gehört der Mittleren Bronzezeit an. Es handelt sich insbesondere um Keramikscherben von grobgemagerten Gefässen. Einige wenige gehören zu Gefässen von sehr feiner Machart. Die Verzierung entspricht den üblichen mittelbronzezeitlichen Varianten: plastisch verzierte Leisten, Fingertupfen, Nuppen, Riefen und Rillen, usw. Bronzeobjekte blieben bis anhin selten; die drei Funde, zwei Dolchklingen und eine Meisselklinge, sind aber äusserst bedeutungsvoll. Von Tierknochen sind nur wenige Fragmente erhalten geblieben (Schaf/Ziege 70%, Rind 26,5%, Schwein 2,9%, Wild keines). Die wenigen untersuchten Stücke lassen allerdings keine allzu verbindlichen Zahlen zu.
Das Fundgut bezeugt eine kleine Siedlung an den obersten Hangpartien. Die vielen schmalen Sondiergräbchen von J. Senti tangierten in erster Linie dieses zum Siedeln günstige Areal. Die Grabungen von 1960 und 1963 lagen ausserhalb des vermutlichen Siedlungszentrums, aber noch innerhalb des Bereichs, wo die Kulturabfälle der oben gelegenen Siedlung zerstreut wurden.
Nach dem Ende der bronzezeitlichen Nutzung der Höhenkuppe infolge Brand (was aus den sekundär verbrannten Gefässscherben geschlossen werden kann), erfolgte in noch unbekannter Zeit die Errichtung einer Konstruktion aus Trockenmauern mit locker gefügten grossen und kleinen Bruchsteinen. Zuoberst auf der Kuppe liegen die letzten Lagen eines kleinen Bauwerks von rundem oder eckigem Grundriss. Wenig hangabwärts sind die untersten Lagen einer umlaufenden «Ringmauer» vorhanden. Auf den Seiten der steilen Felsabstürze sind davon keine Reste nachweisbar; hier war eine solche «Mauer» nicht notwendig. Für die Zeitstellung dieser Trockenmauerkonstruktion gibt es bis jetzt noch keine dazugehörenden Funde, sondern lediglich Indizien. Sicher ist jedoch, dass sie nachbronzezeitlich ist, da bronzezeitliche Keramikscherben auch unter dem 1963 freigelegten Abschnitt dieser «Ringmauer» nachgewiesen werden konnten. Nicht nur die Zeitstellung, auch die einstige Funktion dieser jüngeren Anlage bleibt abzuklären.
Rudolf Degen